Cold War Studies

Organisatoren
Berliner Kolleg Kalter Krieg am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin; Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur; Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.11.2021 - 05.11.2021
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Von
Nikola Stankovic, Universität Potsdam

Der Workshop „Cold War Studies“ bot Raum für die Vorstellung und Diskussion laufender Qualifikationsarbeiten und Forschungsprojekte zum Kalten Krieg. Ziel der Veranstalter war es, eine große Bandbreite an Themen und methodischen Ansätzen miteinander ins Gespräch zu bringen. Demnach waren neben militär- und politikhistorischen Zugängen auch kultur- und gesellschaftshistorische Fragestellungen vertreten. Es wurde nicht nur nach politischen Akteuren, Motiven und Praktiken gefragt, sondern auch nach Wahrnehmungsmustern, transnationalen und blockübergreifenden Austauschprozessen in Europa wie auch im globalen Süden. Der Kalte Krieg wurde somit in seiner Breite als „eine politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte“1, erfasst.

Die Veranstaltung war in drei Panels untergliedert. Das erste Panel, moderiert von Bernd Greiner (Lübeck), befasste sich mit unterschiedlichen Facetten transnationaler „Wissenszirkulation“ im Globalen Süden. Den Auftakt machte AURELIA OHLENDORF (Leipzig). Sie legte überzeugend dar, wie die Sowjetunion Staudammbauten in der „Dritten Welt“ nutzte, um die Überlegenheit des sozialistischen Entwicklungsmodells zu demonstrieren. Einerseits fungierten Stammdammbauten somit als Ausdruck eines Modernisierungsdenkens, wobei sie nicht nur einen allgemeinen Fortschritt zu einer hochtechnologisierten Gesellschaft verkörperten, sondern im Spezifischen die Moderne nach sowjetischem Vorbild inszenierten. Andererseits ging mit dem Infrastrukturprojekt ein Transformationsanspruch einher. Landwirtschaftlich geprägte Regionen der „Dritten Welt“ sollten in Industriezentren transformiert werden, die eine proletarische Arbeiterschaft als notwendige Grundlage des sozialistischen Gesellschaftsmodells hervorbringen würden.

MARCEL BERNI (ZÜRICH) sprach aus vergleichender globalhistorischer Perspektive über Folter im langen 20. Jahrhundert, das aus seiner Sicht von einem erhöhten Aufkommen an Folterpraktiken geprägt war. Als eine der Ursachen hierfür sah Berni die Zunahme von asymmetrischen Konflikten, die besonders Angehörige von Randgruppen oder Personen, die als solche wahrgenommen wurden, zu Opfern gemacht habe. Die Opfer- und Täterperspektive sollte durch wissensgeschichtliche Fragestellungen ergänzt werden, nämlich die Idee, dass „Folterexperten“ grenzübergreifend voneinander lernten und Wissen austauschten. Den Ausgangspunkt stellten dabei die von der französischen Kolonialmacht entwickelten Folterpraktiken in Indochina und Algerien zur Zeit der Dekolonisierungskriege der 1950er- und 1960er-Jahre dar. Deren Verbreitung, Weiterentwicklung und Verbindung zu anderen Folterpraktiken wurde am Beispiel der argentinischen Militärjunta (1976-1983), des philippinischen Militärregimes (1972-1986) und der US-amerikanische Kriege gegen den Terrorismus (seit 2001) analysiert. Die „Folterexperten“ würden damit als „Grenzgänger“ verstanden, die nicht nur in einem nationalen Kontext Erfahrungen machten und diese weitergaben, sondern im Rahmen einer internationalen Expertengemeinschaft Wissen transferierten und erweiterten.

MORITZ FEICHTINGER (Bern) stellte ebenfalls Expertengemeinschaften in den Mittelpunkt seiner Arbeit zum „Databasing Djungle-War“. Nach den kommunistischen Erfolgen in China und Indochina nach dem Zweiten Weltkrieg und als Ausdruck der Planungseuphorie der 1960er-Jahre entwickelten sich in der US-amerikanischen Wissenschaftsgemeinschaft Datenbank-basierte Ansätze zur Erfassung und Beeinflussung politischer Haltungen. Auf Grundlage bevölkerungszentrierter Aufstandsbekämpfung, die unter anderem den Anspruch erhob, das Auftreten und die Dynamiken von Guerillabewegungen zu prognostizieren, sowie Ansätzen der angewandten, quantitativen Sozialforschung, die mit ihren Wählerpräferenzmodellen bereits John F. Kennedys Präsidentschaftswahlkampf gestützt hatte, wurden während des Vietnamkriegs Datenbanken modelliert, die politische und militärische Entscheidungsgrundlagen darstellen sollten, so Feichtinger.

GRISCHA SUTTERER (Mannheim) untersuchte ehemalige Offiziere und Soldaten in ihrer Rolle als private Militärdienstleister. Diese Funktion übernahmen sie nicht erst nach dem Ende des Kalten Krieges, sondern bereits im Rahmen der Dekolonisierungsprozesse. Dabei verortete Sutterer das Auftreten der ersten Militärdienstleister im Rahmen der postimperialen Politik Großbritanniens gegenüber verbündeten Staaten. Als erste Militärdienstleister fungierten zunächst Angehörige der Special Air Service (SAS). Sie lieferten militärische Expertise an verbündete Regime des Vereinigten Königreichs zur Herrschaftsstabilisierung. Die ehemaligen Angehörigen der SAS stellten dann im Jemenitischen Bürgerkrieg von 1962 bis 1967 die personelle Grundlage für die erste Generation der privaten Sicherheitsdienstleister.

Das zweite Panel, moderiert von Wolfgang Schmidt (Berlin), widmete sich dem breiten Forschungsfeld des „Humanitarismus“, das in den vergangenen Jahren eine weite Ausdifferenzierung erfahren hat. NADINE RECKTENWALD (München) stellte ihr Forschungsprojekt zum DRK-Suchdienst während des Kalten Krieges vor. Dabei wurde das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in seiner doppelten Rolle als Akteur nationaler politischer Interessen sowie als Organisation verstanden, die über Blockgrenzen hinweg neue Kontakte knüpfen musste, um ihren Auftrag der Vermisstensuche erfüllen zu können. Deutlich wurde, wie sehr diese Praxis transnationaler Kooperations- und Austauschprozesse letztlich von den entspannungspolitischen Konjunkturen des Kalten Krieges abhängig blieb. Zudem ergaben sich Konflikte aufgrund der Kooperationspartner des DRK im Zuge der Vermisstensuche. Zur Auffindung von vermissten Soldaten wurde mit Traditionsverbänden ehemaliger Wehrmachtssoldaten zusammengearbeitet. Diese Kooperation wurde durch Vertreter des Sowjetischen Roten Kreuzes kritisiert, weil sie zur Verschlechterung der Beziehungen mit Moskau beigetragen habe. Diese ambivalente Spannungslage motivierte das DRK dazu, die eigene Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren, um einerseits die Erfolge der Vermisstensuche publik zu machen und sich andererseits gezielt und sichtbar in der gesellschaftlichen Mitte zu positionieren.

Die Bedeutung grenzübergreifender Kooperationsbeziehungen hob auch ANETTE HINZ-WESSELS (Berlin) in ihrem Projekt zum deutsch-deutschen Gesundheitsabkommen (1976) hervor. Sie arbeitete die Vorgeschichte, die Aushandlung und den Alltag der Zusammenarbeit heraus und unterstrich die Grenzen der Abschottungspolitik im Kalten Krieg. Gerade im Bereich der Gesundheitspolitik seien die vielfältigen Verflechtungen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht abgebrochen und konnten, so die These, als inoffizielles, blockübergreifendes Netzwerk auch einen Beitrag zur Etablierung der zwischenstaatlichen Beziehungen im Rahmen der Neuen Ostpolitik leisten.

Der humanitären Dimension des Wiener KSZE-Folgetreffens (1986-1989) widmete sich NINA HECHENBLAIKNER (Innsbruck) mit Blick auf die Rolle Österreichs, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Neben der diplomatischen Ebene, die mittels staatlicher Akten und Interviews mit damaligen Delegationsmitgliedern erschlossen wurde, wurden Menschrechtsorganisationen und die mediale Berichterstattung untersucht. Hechenblaikner unterstrich plausibel die Bedeutung der Reformpolitik Gorbatschows für die osteuropäischen Delegationen, die weniger geschlossen auftraten als auf den vorangegangenen KSZE-Treffen und dem Westen so in die Hände spielten. Auch wenn Menschenrechtsorganisationen keinen unmittelbaren Einfluss auf die Verhandlungen hatte, so dienten sie den westlichen Delegationen doch als wichtige Informationsquelle.

Das dritte Panel unter Moderation von Elke Seefried (Aachen) stellte den grenzüberschreitenden Austausch und die Vertrauensbildung in den Mittelpunkt, wodurch Mechanismen der Entspannungspolitik eine besondere Aufmerksamkeit erfuhren. NINA SZIDAT (Duisburg-Essen) beschäftigte sich mit der Bedeutung von Städtepartnerschaften als grenzübergreifendes Phänomen in Europa. Als Fallbeispiele wurden Städte in der Bundesrepublik Deutschland, der DDR sowie Großbritannien ausgewählt. Städtepartnerschaften bestanden seit den 1950er-Jahren innerhalb der Blöcke wie auch über Blockgrenzen hinweg. Ihnen wurde oft eine versöhnende Funktion zugeschrieben, die zur Überwindung der Feindkonstellation des Zweiten Weltkriegs beitragen sollten. Darüber hinaus illustrierten sie den internationalen Handlungsspielraum kommunaler und nicht-staatlicher Akteure sowie ihre Möglichkeiten zur Perforierung der Abschottungspolitik. Besonders die DDR nutzte Städtepartnerschaften, um an internationaler Legitimität durch Kontakte zu Staaten aus dem Westen zu gewinnen. Jedoch geriet die Staatsführung damit in einen Interessenskonflikt, da gleichzeitig Westkontakte der Bevölkerung reduziert werden sollten.

SVENJA SCHNEPEL (Münster) widmete ihre Studie der diplomatischen Funktion von Musik und Musikern in den 1960er-Jahren. Untersucht wurde der gezielte Einsatz von Solisten und Kammermusikern im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik der DDR und der Bundesrepublik sowohl im Westen als auch in der „Dritten Welt“. Die Musik nahm in der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz in der „Dritten Welt“ eine ambivalente Rolle ein. Jedoch blieben die westdeutschen Akteure kolonialen und modernisierungstheoretischen Denkmustern verhaftet, die den globalen Süden als kulturell und entwicklungstechnisch rückständige Region abwerteten. Die DDR nutzte die Kulturpolitik, ähnlich wie die Städtepartnerschaften, als Instrument zur Unterwanderung der Hallstein-Doktrin. Die Musik fungierte aber auch als Möglichkeit zur Überwindung der Systemkonkurrenz, schufen die direkten Begegnungen zwischen Musikern aus Ost und West doch zwischenmenschliche Kontakträume jenseits politischer Trennlinien.

Den Schlussvortrag hielt WILLI SCHRENK (Berlin), der sich der deutsch-deutschen Dimension der Wiener KSZE-Nachfolgekonferenz widmete. Ein zentrales Konfliktfeld stellte dabei der Mindestumtausch dar, der bereits seit 1964 bestimmte Umtauschsätze für das Einreisen aus der Bundesrepublik in die DDR festschrieb. Der Mindestumtausch war für die Devisenakquise des SED-Staates von hoher wirtschaftlicher Bedeutung, während sie für die Bundesrepublik ein politisches Problem darstellte, da die eigene Bevölkerung finanziell belastet wurde. Während die Vertreter der DDR versuchten, Debatten über dieses Thema zu vermeiden, nutzte die bundesdeutsche Delegation erfolgreich den multilateralen Verhandlungsrahmen, um ihre Ziele durchzusetzen. Durch informelle Absprachen mit den westlichen Verbündeten und den Neutralen und Nichtgebundenen Staaten konterkarierte die Bundesrepublik den Versuch der DDR, den Mindestumtausch als exklusiv deutsch-deutsches Problem erscheinen zu lassen. Zudem war die DDR mit der Machtübernahme Gorbatschows und den damit zusammenhängenden Reformforderungen sowohl von West als auch von Ost immer stärker unter politischen Druck geraten, sah sich auch innerhalb des Ostblocks isoliert und letztlich gezwungen, der Abschaffung des Mindestumtauschs zuzustimmen.

Der Workshop konnte eine Reihe unterschiedlicher thematischer Felder und methodischer Zugänge zu den Cold War Studies aufzeigen. Auffällig war, dass etliche Studien einen Schwerpunkt auf Akteure der mittleren Ebene legten. Ansätze der klassischen Diplomatie- und Politikgeschichte, die ihren Blick vor allem auf die höchsten Amtsträger als zentrale Entscheidungsinstanzen richten, standen nicht im Vordergrund, stattdessen wurden auch Motive, Strategien und Aushandlungsprozesse nicht-staatlicher, gesellschaftlicher und öffentlicher Akteure ausgeleuchtet. Gemeinsam war den Studien zudem, dass sie nach Möglichkeiten und Grenzen des Kalten Krieges als zentralem Deutungsrahmen und analytischer Kategorie fragten. Gerade mit Blick auf die Staaten des globalen Südens und ihre Akteure wurde diskutiert, welche Rolle dem Prozess der Dekolonisierung im jeweiligen Fallbeispiel zukam. Eine Herausforderung künftiger Studien im globalen Süden wird daher auch darin bestehen, mehr noch als bisher Ansätze der Postcolonial Studies und der Cold War Studies stärker zusammenzuführen.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Kalter Krieg und Globaler Süden
Moderation: Bernd Greiner (Lübeck)

Aurelia Ohlendorf (Leipzig): Globalisierung des sozialistischen Entwicklungsmodells. Eine transnationale Studie des sowjetischen Staudammbaus im Kalten Krieg

Marcel Berni (Zürich): Moderne Marter: Eine translokale Geschichte der Folter im Kalten Krieg

Moritz Feichtinger (Bern): Databasing Djungle-War. Die Datenbanksysteme der US-Armee im Vietnamkrieg, 1966-1975

Grischa Sutterer (Mannheim): Private Security Companies und die Etablierung des postimperialen Staatensystems, 1956 – 1986

Panel 2: Humanitarismus
Moderation: Wolfgang Schmidt (Berlin)

Nadine Recktenwald (München): „Suchende“ und „Gesuchte“ des Zweiten Weltkrieges. Der DRK-Suchdienst zwischen Kriegsfolgenbewältigung und Kaltem Krieg

Annette Hinz-Wessels (Berlin): Medizinische Verflechtung im Kalten Krieg: Vorgeschichte, Aushandlung und Alltag des deutsch-deutschen Gesundheitsabkommens

Nina Hechenblaikner (Innsbruck): „Wir bitten um Ihre Hilfe“ – Die humanitäre Dimension des dritten KSZE-Folgetreffens in Wien, 1986-1989

Panel 3: Grenzüberschreitender Austausch und Vertrauensbildung
Moderation: Elke Seefried (Aachen)

Nina Szidat (Duisburg-Essen): Zwischen Ost-West-Konflikt, kommunaler Außenpolitik und städtischem Eigensinn. Aushandlungsprozesse in blockübergreifenden Städtepartnerschaften

Svenja Schnepel (Münster): Musik als deutsches diplomatisches Instrument der 1960er Jahre

Willi Schrenk (Berlin): Der Mindestumtausch als Teil der deutsch-deutschen Konflikte auf der Wiener KSZE-Folgekonferenz, 1986-1989

Anmerkung:
1 Bernd Stöver, Der Kalte Krieg, 3., durchgesehene Auflage München 2008 (1. Aufl. 2003), S. 9.